Fiori in der Praxis: Warum viele SAP-User enttäuscht sind – und Berater oft ratlos

Ein Erfahrungsbericht aus Projekten mit Anspruch auf moderne Benutzeroberflächen – und der Realität im Lager, bei Key Usern und Beratern.


Moderne SAP-Bedienung mit Fiori – eine gute Idee

Als Senior SAP Berater begleite ich Unternehmen seit Jahren bei der Umstellung auf S/4HANA. Fiori ist dabei fast immer gesetzt – aus gutem Grund: moderne Benutzeroberfläche, rollenbasiertes Arbeiten, Mobilfähigkeit.

Doch was auf dem Papier vielversprechend klingt, offenbart in der Praxis schnell Schwächen. Vor allem dann, wenn der Lagerist effizient arbeiten will, der Key User tief in die Prozesse eintaucht – oder der Berater flexibel bleiben muss.


Im Lager: Einfach – aber oft nicht durchdacht

Lagerprozesse profitieren grundsätzlich von klaren, mobilfähigen Apps. Fiori verspricht genau das – doch die Realität ist oft ernüchternd:

  • Buchungen lassen sich nur einzeln ausführen
  • Bewegungsgründe sind nicht frei wählbar
  • App-Übergänge (z. B. vom Wareneingang zum Bestandsabgleich) sind nicht integriert
  • Manche Standardprozesse fehlen komplett (z. B. Umbuchung von Sperr- auf Qualitätsbestand)

Der Anspruch: intuitive Bedienung.
Die Folge: Rückgriff auf SAP GUI oder ineffiziente Workarounds.


Key User & Berater: Oberfläche ja – Tiefe nein

Während im Lagerprozess noch einfache Apps ausreichen, sieht es für Key User und SAP-Berater anders aus:

  • Keine Selektionsvarianten wie in der GUI
  • Fehlende Massenverarbeitung oder nur eingeschränkt nutzbar
  • Keine flexiblen ALV-Listen, keine benutzerdefinierten Layouts
  • Abhängig vom Release-Stand variiert der Funktionsumfang stark

Kurz gesagt: Wer in Fiori produktiv arbeiten will, braucht entweder mehrere Apps – oder steigt früher oder später doch wieder auf die gute alte GUI um.


Und was ist mit VL10B und MB52?

Zwei Klassiker, die in fast jedem Projekt genutzt werden:

VL10B (Lieferungen nach Termin)

Ja, es gibt sie noch – auch in S/4HANA.
Aber: SAP entwickelt die GUI-Transaktion nicht mehr weiter, und eine echte Fiori-App als 1:1-Ersatz fehlt.

Alternativen:

  • Create Delivery Proposals (F4966A)
  • Monitor Outbound Deliveries
    → Aber sie decken nur Teilaspekte ab und sind oft zu generisch.

MB52 (Bestandsübersicht)

Ebenfalls weiter nutzbar in der GUI, aber auch hier: keine vollwertige Fiori-App.

Fiori-Alternativen:

  • Stock – Single Material (F0862A)
  • Material Documents Overview (F3247)
  • Display Stock/Requirements List (MD04 – via GUI-Integration)

→ Diese Apps zeigen oft nur Einzelmaterialien oder Teilinformationen – für Lagerleiter oder Analysten schlicht unbrauchbar.


Warum ist das so?

Fiori basiert technisch auf OData und CDS Views. Das bringt viele Vorteile – wie klare Strukturen, Mobilfähigkeit, einfache Erweiterbarkeit mit BTP.
Aber: Die Apps sind nicht einfach eine neue Oberfläche für alte Transaktionen – sie wurden neu konzipiert. Das bedeutet:

  • Fokus auf Standardprozesse
  • Weniger Customizing
  • Eingeschränkte Navigation und weniger Transaktionslogik
  • Erweiterungen nur mit Entwicklungsaufwand

Fazit aus der Praxis

Fiori ist ein Fortschritt – aber kein vollständiger Ersatz.

  • Für Lagerarbeiter: ✅ hilfreich, wenn die Prozesse passen
  • Für Key User & Berater: ⚠️ oft unzureichend, weil Tiefe fehlt
  • Für Unternehmen: ❗ eine hybride Strategie ist fast immer der beste Weg

Meine Empfehlung als Berater:

  • Analysiert frühzeitig, welche Fiori-Apps wirklich euren Scope abdecken
  • Plant GUI-Transaktionen als Ergänzung mit ein
  • Kommuniziert intern klar: Fiori ist kein Allheilmittel, sondern ein modernes Werkzeug – mit Fokus, nicht mit Allmacht